Helmut Schön

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Helmut Schön (rechts) und sein Vorgänger Sepp Herberger auf einer paraguayischen Briefmarke

Helmut Schön (* 15. September 1915 in Dresden; † 23. Februar 1996 in Wiesbaden) war ein deutscher Fußballspieler und Trainer, auch genannt „der Mann mit der Mütze“ oder „der Lange“ (1,86 m).

Bereits als aktiver Fußballspieler des Dresdner SC feierte Schön große Erfolge. Er wurde in den Runden 1942/43 und 1943/44 zweimal Deutscher Meister und gewann auch zweimal in den Jahren 1940 und 1941 den Pokal. Von 1937 bis 1941 wurde er zu 16 Länderspielen in die Fußballnationalmannschaft berufen und erzielte dabei 17 Tore. Ihn zeichneten herausragende Technik, Kopfballstärke und strategische Fähigkeiten aus[1]. Er vollzog nahtlos als Spieler-Trainer den Übergang in das Traineramt und wurde in seiner Zeit als Bundestrainer von 1964 bis 1978 zum erfolgreichsten Nationaltrainer der Welt. Schön gewann die Weltmeisterschaft 1974 und die Europameisterschaft 1972, er wurde Vizeweltmeister 1966 sowie Vizeeuropameister 1976 und Dritter bei der Weltmeisterschaft 1970. Dass Schön die liberale Größe besaß – er stammte aus einer undemokratischen Trainertradition – und den Nationalspielern viele Freiräume und Mitspracherechte in seiner Bundestrainerära einräumte, statt sie in ein taktisches Korsett zu zwängen, war das eigentlich Herausragende seiner Amtszeit als Bundestrainer.[2] Er war der Baumeister der erfolgreichsten Ära in der Geschichte des deutschen Fußballs, die Weltstars wie Franz Beckenbauer, Wolfgang Overath, Günter Netzer, Sepp Maier und Gerd Müller hervorbrachte.

Der Spieler

Jugend und Anfänge in der Ersten Mannschaft

Mit fünf/sechs Jahren[3], 1920/1921, begann in der Struvestraße in Dresden, einer gutbürgerlichen Wohngegend am Rande der Innenstadt, die Fußballkarriere von Helmut Schön. Die Straße wurde für ihn und seine Kameraden zur „Hohen Schule“ des Fußballs. Sein Vater, der Kunsthändler Anton Schön, hatte feine Lebensart als Kammerdiener adliger Herren in Deutschland gelernt, war schließlich Butler englischer Aristokraten geworden und teilte die Fußballleidenschaft seines Drittgeborenen nicht. Helmut hatte noch einen acht Jahre älteren Bruder und eine zwölf Jahre ältere Schwester. Mit sieben, acht Jahren[4] wechselten die „Straßenkicker“ hinüber in die nahen Grünanlagen der „Bürgerwiese“. Mit zehn Jahren schloss er sich der Knabenmannschaft des SV Dresdensia an. Für den Knaben war Dresden der Weg zur Schule, zu den Grünanlagen und zum Sportplatz. Als Fünfzehnjähriger spielte er erstmals in der Ersten Mannschaft von „Dresdensia“, bei einem Freundschaftsspiel in Bautzen. Unmittelbar danach wechselte er von der kleinen „Dresdensia“ zum großen DSC, wo der schussgewaltige Richard Hofmann für den Schwung im Angriff sorgte. Das Länderspiel am 28. September 1930 in Dresden gegen Ungarn erlebte der Nachwuchskicker als Balljunge im Ostragehege und bestaunte dabei die Aufholjagd der deutschen Mannschaft vom 0:3 Halbzeit- zum 5:3 Endstand. Da zu dieser Zeit Jimmy Hogan das Traineramt beim Dresdner SC ausübte, profitierte davon auch das Nachwuchstalent Helmut Schön. Insbesondere die technische Schulung, das Kombinationsspiel und die Kunst des „überraschenden Spiels“ lehrte der Engländer nachhaltig in Dresden und prägte damit auch die spätere Trainerarbeit von Helmut Schön.[5] Mit 17 Jahren – im Herbst 1932 – spielte er erstmals bei einem Freundschaftsspiel gegen Karlsbad in einer Mannschaft mit Richard Hofmann. In der Ligamannschaft debütierte Schön im Sommer 1933, vielleicht zu früh, es folgte eine sechsmonatige Pause bis zum zweiten Einsatz. Stattdessen erhielt der Schüler eine Einladung zu den ersten Olympialehrgängen nach Berlin und Duisburg. Lehrgangsleiter war Reichstrainer Dr. Otto Nerz, assistiert wurde er von Sepp Herberger, Paul Oßwald, „Tute“ Lehmann, Ludwig Leinberger und Georg Knöpfle. Mit der Olympiateilnahme 1936 wurde es aber nichts, Schön zog sich eine Meniskusverletzung zu und wurde im Sportsanatorium Hohenlychen im Norden Berlins operiert. Neben dem Fußball besuchte er bis Ostern 1935 das Bischöfliche St. Benno-Gymnasium und machte dort auch das Abitur. Weit mehr als die naturwissenschaftlichen Fächer lagen dem DSC-Spieler die Sprachen. Zum 1. April 1935 trat er eine Lehre zum Bankkaufmann bei der Sächsischen Staatsbank in Dresden an. Nach erfolgreichem Abschluss war er bei der Pharmazeutischen Fabrik Dr. Madaus & Co (Gönner des Dresdner SC) in Radebeul bei Dresden bis 1945 im kaufmännischen Bereich angestellt. Der eigentliche Aufstieg des Dresdner SC an die Spitze der Gauliga Sachsen und des deutschen Vereinsfußballs erfolgte mit dem Gewinn der sächsischen Meisterschaft in der Saison 1938/39 und des dritten Platzes in der Deutschen Meisterschaft.

Meisterschaften, Pokalerfolge und Nationalmannschaft, bis 1944

Über Repräsentativspiele für die Stadt Dresden sowie für Sachsen im Reichsbundpokal führte der Weg des Spielers Schön im Mai 1935 schließlich zu Einsätzen in der B-Nationalelf in Sofia und Belgrad gegen Bulgarien und Jugoslawien. Nach Ausheilung seiner Meniskusverletzung vor der Olympiade 1936 nominierte ihn der Nachfolger von Reichstrainer Nerz, Sepp Herberger, für das Weltmeisterschaftsqualifikationsspiel am 21. November 1937 in Hamburg gegen Schweden. Nicht alleine die Berufung in den Nationalmannschaftskader war schon eine Auszeichnung, das Debüt von Helmut Schön fand in der „Breslau-Elf“ statt, die am 16. Mai 1937 in Breslau mit einem 8:0-Erfolg gegen Dänemark Fußballgeschichte geschrieben hatte. Zusammen mit Ernst Lehner, Otto Siffling, Fritz Szepan und Adolf Urban bildete der Dresdner beim souveränen 5:0-Sieg in Hamburg die Angriffsreihe. Zum Einstand steuerte er zwei Treffer bei. Mit seiner Kombinationsgabe, Kopfballstärke, Schusskraft und seiner imponierenden strategischen Fähigkeit schien er glänzende Perspektiven in der Nationalmannschaft zu haben und zu den Leistungsträgern für die Fußballweltmeisterschaft 1938 in Frankreich zu gehören. Acht Tage später, am 28. November 1937, zog sich Helmut Schön im Ligaspiel des Dresdner SC seine zweite Meniskusverletzung zu und wurde am 24. Januar 1938 operiert. Seine Karriere in der Nationalmannschaft erfuhr dadurch erst nach dem WM-Turnier, am 18. September 1938 in Chemnitz, beim Länderspiel gegen Polen die Fortsetzung. Wiederum trug der „Lange“ sich beim 4:1 Erfolg in die Torschützenliste ein. Im Spieljahr 1938/39 folgten noch fünf weitere Einsätze in der Nationalmannschaft, der Titelgewinn mit dem DSC in der Gauliga Sachsen und der dritte Rang in den Spielen um die Deutsche Fußballmeisterschaft.

In der Runde 1939/40 wurde der Titelgewinn in Sachsen wiederholt, Schön zog mit seinen Kameraden in das Finale um die Deutsche Fußballmeisterschaft am 21. Juli 1940 gegen Schalke 04 ein – die Szepan-Elf setzte sich mit 1:0 Toren durch – und am 1. Dezember 1940 gewannen die Sachsen den Tschammer-Pokal mit einem 2:1 nach Verlängerung gegen den 1. FC Nürnberg. Im Jahre 1941 gingen die Erfolge nahtlos weiter: Schön gewann am 7. September in Chemnitz mit Sachsen – mit Kreß, Miller, Hempel, Pohl, Schubert, Kugler, Schaffer und Carstens waren noch acht weitere DSC-Akteure im Einsatz – den Reichsbundpokal mit 2:0 Toren gegen Bayern und am 2. November glückte mit einem 2:1-Erfolg gegen Schalke 04 die Titelverteidigung im Vereinspokal.

Sein 16. und letztes Länderspiel bestritt Helmut Schön am 5. Oktober 1941 bei der 2:4 Niederlage in Stockholm gegen Schweden. Von 1937 bis 1941 hatte er dabei 17 Tore erzielt. Am 22. November 1942 lief die Nationalmannschaft zum letzten Mal vor Kriegsende auf. Im Verein folgten in den Jahren 1943 und 1944 für die Mohnroten noch die zwei Titelgewinne um die Deutsche Meisterschaft. Trotz der Einschränkungen unter welchen die Runden 1942/43 und 1943/44 im „totalen Krieg“ litten und man die Spielzeiten nicht mehr rein unter sportlichen Gesichtspunkten betrachten kann, waren die Meisterschaftsgewinne des Dresdner SC um Richard Hofmann und Helmut Schön verdient und die Bestätigung der Klasse der Meisterelf.

Von 1933 bis 1944 bestritt der „Lange“ 38 Spiele um die Deutsche Meisterschaft und erzielte dabei auch 38 Tore. In Sachsen gewann er in den Jahren 1934, 1939 bis 1941, 1943 und 1944 die Meisterschaft. Er war trotz Verletzungsanfälligkeit und den Einschränkungen des Weltkrieges ein überaus erfolgreicher und als Könner herausragender Spieler.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, bis 1951

Helmut Schön, seit dem 15. Januar 1942 verheiratet mit seiner ebenfalls aus Dresden stammenden Ehefrau Annelies und Vater von Sohn Stephan (* 1944, später aktiver Leichtathlet und Physiker), hatte die Katastrophe vom 13. bis 15. Februar 1945 durch den Luftangriff auf Dresden unbeschadet überstanden und war sofort beim Wiederbeginn des Fußballs nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Dresden wieder am Ball. Nicht aber beim ruhmreichen Dresdner SC, der wurde in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands als „bürgerlicher Verein und Symbol feudaler Cliquenwirtschaft“[6]. verboten und Schön spielte 1946/47 mit dem Nachfolgeverein SG Dresden-Friedrichstadt im Bezirk Dresden. Lokale Konkurrenz stellte die SG Mickten dar. Als Schön mit Friedrichstadt in der Runde 1947/48 in der Qualifikation zur Ostzonen-Meisterschaft an der SG Meerane scheiterte, hatte er auch drei Spiele für St. Pauli in der Oberliga Nord bestritten, darunter bei der 0:2-Heimniederlage am 30. November 1947 gegen den Hamburger SV als Mittelläufer. 1949 gelang der Titelgewinn in Sachsen vor Meerane und Industrie Leipzig. In der Ostzonenmeisterschaft scheiterte Friedrichstadt im Viertelfinale mit einer 1:2 Niederlage bei ZSG Union Halle. In der ersten Oberligarunde um die DDR-Meisterschaft 1949/50 holte sich der als Spieler-Trainer (neun Spiele mit elf Toren) fungierende Ex-Nationalspieler die Vizemeisterschaft hinter ZSG Horch Zwickau. Im Winter 1949/50 hatte Schön in Köln unter Sepp Herberger seine Trainer-Ausbildung absolviert und war wieder im Februar 1950 nach Dresden zurückgekehrt. Nach den Zuschauerausschreitungen im entscheidenden Meisterschaftsspiel am 16. April 1950 bei der 1:5-Heimniederlage gegen Zwickau erfolgte die Auflösung und formale Angliederung der SG Friedrichstadt an den unterklassigen VVB Tabak Dresden. Die Dresdner waren mit der Schiedsrichterleistung nicht einverstanden und vermuteten eine sportpolitische Manipulation zu Gunsten einer Betriebssportgemeinschaft. Neutral betrachtet muss aber auch der frühe Verlust (12. Minute) des DSC-Verteidigers Walter Kreisch und im weiteren Spielverlauf auch noch der von Helmut Schön neben der Leistung des neuen Meisters als spielentscheidend angeführt werden. Helmut Schön schloss sich daraufhin zur Runde 1950/51 als Spieler-Trainer Hertha BSC an.

Neben seiner Aktivität in Friedrichstadt hatte Helmut Schön bereits von 1948 bis 1950 als Trainer der Sachsen-Auswahl und zusätzlich vom Mai 1949 bis April 1950 als Auswahltrainer der Ostzone gewirkt.

Im ersten Jahr unter Vertragsspielerbedingungen in der Stadtliga Berlin ging die Meisterschaft überlegen an Tennis Borussia Berlin gefolgt von SC Union 06 Berlin, vor dem Tabellendritten Hertha BSC mit elf Ex-Dresdnern (u.a. Kurt Birkner, Hans Kreische, Kurt Lehmann) in den Reihen. Bereits nach Silvester 1950 beendete Helmut Schön seine Tätigkeit bei Hertha – in drei Begegnungen hatte er noch als Spieler mitgewirkt – und damit auch endgültig seine Spielerlaufbahn. In den Oberligen Nord, DDR und Berlin hat er insgesamt 15 Spiele mit 12 Toren bestritten.

Der Trainer

Wiesbaden, Saarland und Bundestrainerassistent, bis 1964

In der Runde 1951/52 übte Helmut Schön das Traineramt beim SV Wiesbaden in der 2. Liga Süd aus und belegte mit den Hessen den neunten Rang. Er fand in der Kur- und Kongressstadt mit seiner Familie seine neue Heimat, nahm aber ab 1952 das Angebot des damaligen autonomen Saarlandes an und wurde dessen Nationaltrainer. Als Nachfolger von Auguste Jordan startete Helmut Schön mit einem 3:2-Erfolg am 24. Juni 1953 in Oslo gegen Norwegen in die Qualifikation zur Fußball-Weltmeisterschaft 1954 in der Schweiz. Die zwei Spiele gegen die Mannschaft von Sepp Herberger endeten in Stuttgart mit einer 0:3 und in Saarbrücken mit einer 1:3-Niederlage. Die saarländische Nationalelf zeigte dabei jeweils eine beachtliche Leistung. Nachdem der SFB wieder als Landesverband in den Deutschen Fußballbund eingegliedert war, wurde der Mann aus Dresden ab dem 26. Mai 1956 DFB-Trainer und damit Assistent von Bundestrainer Sepp Herberger. Für ein Anfangsgehalt von 1.100 DM brutto bekam er mehrere Aufgaben übertragen: Er war zuständig für die B-Mannschaft, die Amateurauswahl und für die Jugendnationalelf bei den UEFA-Turnieren. Daneben leitete er Trainer-Lehrgänge und war selbstverständlich immer bei den Vorbereitungen zu den Spielen der A-Nationalmannschaft dabei. Wertvolle Erfahrungen sammelte Schön an der Seite von Bundestrainer Sepp Herberger bei den Weltmeisterschaftsturnieren 1958 in Schweden und 1962 in Chile. Nach acht Jahren als Assistent trat Helmut Schön im Sommer 1964 die Nachfolge von Bundestrainer Sepp Herberger an.

Bundestrainer, 1964 bis 1978

Start

Am 7. Juni 1964 betreute Sepp Herberger bei dem Freundschaftsspiel in Helsinki gegen Finnland letztmals die deutsche Nationalmannschaft. Im letzten Jahr der Ära Herberger, 1963/64, hatte die Bundesliga als Leistungsspitze des deutschen Fußballs ihr Programm aufgenommen und damit die international überholten regionalen Oberligen abgelöst. Dem neuen Bundestrainer stellte sich sofort die sportlich schwierige Aufgabe der Qualifikation zur Weltmeisterschaft 1966 in England. Schweden und Zypern waren die Gegner und das erste Spiel gegen die Nordländer fand ohne Vorbereitungsländerspiel bereits am 4. November 1964 in Berlin statt. Durch zwei Kurzlehrgänge mit Probespielen in Augsburg gegen eine Südauswahl (15. September) und in Düsseldorf gegen Sheffield Wednesday (6. Oktober) versuchte Helmut Schön mit seinem Assistenten Dettmar Cramer, der Nationalmannschaft Form und Gestalt zu geben. Zu seinem ersten Spiel als verantwortlicher Bundestrainer schickte er folgende Elf auf das Feld:

Tilkowski (Borussia Dortmund); Nowak (Schalke 04), Schnellinger (AS Rom); Giesemann (Hamburger SV), Weber (1. FC Köln), Szymaniak (FC Varese); Brunnenmeier (1860 München), Haller (AC Bologna), Seeler (Hamburger SV), Overath (1. FC Köln), Gert Dörfel (Hamburger SV).

Nur der Torjäger der Münchner „Löwen“, Rudi Brunnenmeier, war ein Neuling im Nationalteam. Das Spiel endete 1:1-Unentschieden und die Aufgabe der erfolgreichen WM-Qualifikation war damit nicht leichter geworden. Der oftmals als dünnhäutig und überempfindlich, zu anfällig gegen den leisesten Hauch von Zweifeln und als Zauderer beschriebene Sensible aus Sachsen hätte aber seine Kritiker bereits mit seiner Personalentscheidung für das entscheidende Qualifikationsspiel am 26. September 1965 in Stockholm gegen Schweden, als er auf den gerade 20 Jahre gewordenen Münchner Debütanten Franz Beckenbauer und seinen Kapitän Uwe Seeler nach einer Achillessehnenoperation setzte, registrieren lassen müssen, dass auch ein feingeistiger, musisch begabter und opernverliebter Fußballfachmann zu riskanten Entscheidungen fähig ist, wenn auch nach reiflicher Überlegung und nicht dabei in der Öffentlichkeit den „Hurra-Stil“ praktizierend. Durch Treffer von Werner Krämer und Uwe Seeler gewann die Schön-Elf das Spiel mit 2:1 Toren und war für die Weltmeisterschaft 1966 in England qualifiziert. Im Turnier vom 11. bis 30. Juli überzeugte die deutsche Mannschaft nicht nur durch die Finalteilnahme. Die Mannschaft von Helmut Schön zeichnete sich durch spielerische Attribute aus und hatte mit Franz Beckenbauer, Helmut Haller und Wolfgang Overath Akteure in ihren Reihen, die für Offensivspiel, Spielwitz und Technik standen. Das Finale war nicht nur durch das ominöse Wembley-Tor zum 3:2 für den neuen Weltmeister England ein denkwürdiges Spiel. Nach der durch die Defensive geprägten Weltmeisterschaft 1962 in Chile setzte der neue Bundestrainer mit seiner Mannschaft eindeutig in England Akzente im Offensivspiel.

Dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen, erlebte Schön aber in der Qualifikation zur Europameisterschaft 1968. Nach dem standesgemäßen 6:0-Startsieg am 8. April 1967 in Dortmund gegen Albanien gab es einen Monat später in Belgrad am 3. Mai gegen Jugoslawien eine 0:1-Niederlage die sofort die Kritiker auf den Plan rief. Grundtenor war die zu defensive Einstellung der Mannschaft. Nimmt man die Formation des Mittelfeldes – Beckenbauer, Küppers, Overath – und des Angriffs – Held, Gerd Müller, Löhr – zur Kenntnis, kann man diesen Kritikpunkt nicht wirklich nachvollziehen. Von diesen sechs Spielern konnte nur Franz Beckenbauer mit Defensivqualitäten in Verbindung gebracht werden. Den Schuh hätte man höchstens umgekehrt anziehen können: Mit dieser Aufstellung konnte es nur gut gehen, wenn die Schön-Mannschaft Jugoslawien in die Defensive drängen konnte und selbst mit ihrem Offensivpotential das Spiel bestimmte. Genau dies gelang aber nicht, die Mannen um Dragan Džajić und Josip Skoblar drängten die DFB-Elf fast durchgehend in die Defensive. Am 7. Oktober gelang mit einem 3:1-Heimerfolg in Hamburg aber umgehend die Revanche. Das Spiel am 17. Dezember 1967 in Tirana gegen Albanien entschied den Zweikampf mit Jugoslawien. Der Bundestrainer vertraute im Mittelfeld auf drei Spielmacher-Typen: Hans Küppers, Günter Netzer und Wolfgang Overath sollten für die Vorlagen für die drei Spitzen Siegfried Held, Peter Meyer und Johannes Löhr sorgen. Netzer und Overath waren die unbestrittenen Spielmacher in ihren Clubs, Küppers hatte in der 1966er Meistermannschaft von 1860 München unter Trainer Max Merkel spielerische Klasse mit Torgefährlichkeit eingebracht. Held sollte über den rechten Flügel die Abwehr der Skipetaren überlaufen und der neue Torjäger von Borussia Mönchengladbach, Peter Meyer, hatte zu dem Zeitpunkt seines Nationalmannschaftsdebüts in 17 Spielen 19 Tore erzielt, und da auch Linksaußen Löhr mit seinen 16 Treffern für den 1. FC Köln seine Treffsicherheit in der Bundesliga-Vorrunde 1967/68 eindrucksvoll bewiesen hatte, war die Abschlussqualität im Angriff der Schön-Auswahl unbestritten vorhanden. Heraus kam ein 0:0-Unentschieden und damit das Scheitern in der EM-Qualifikation. Schön stand in der Folgezeit massiv in der Kritik. Mit diesem „Rucksack“ ging es in die Qualifikationsspiele zur Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko. Gegen Österreich, Schottland und Zypern führte Schön seine Mannschaft mit fünf Siegen und einem Unentschieden eindrucksvoll zum Finalturnier. Entscheidenden Charakter hatte der 3:2-Abschlusserfolg am 22. Oktober 1969 in Hamburg gegen Schottland, als Reinhard „Stan“ Libuda in der 79. Spielminute einen Durchbruch mit dem Siegtor vor 72.000 Zuschauern krönen konnte.

Große Mannschaften – große Turniere

Mit der spielerischen Vorstellung seiner Mannschaft beim WM-Turnier in Mexiko 1970 „nabelte“ sich Schön endgültig erfolgreich als Bundestrainer von seinem großen Vorgänger Sepp Herberger ab. Bereits die Auftritte in den Gruppenspielen gegen Bulgarien und Peru waren Demonstrationen hoher Spielkunst.[7]

Beckenbauer, Overath und der ins Mittelfeld gerückte Uwe Seeler bestimmten das Spiel, Gerd Müller setzte sich auch international eindrucksvoll als Torjäger durch und das Wechselspiel an den Flügeln mit Libuda, Grabowski, Löhr und Held verwirrte die Gegner und verwöhnte die Zuschauer. Das grandiose Spiel im Viertelfinale gegen England brachte Frankreichs „L’Équipe“ zu einem originellen Urteil:[8]

„Phantastisch! Unglaublich! Wundervoll! Außergwöhnlich!“ Welches Wort beschreibt am besten den Sieg Deutschlands über eine wunderbare englische Mannschaft! Wir überlassen Ihnen die Wahl.“ …..

Die Dramaturgie und das permanente Offensivspiel im Halbfinale durch das Jahrhundertspiel gegen Italien brachten Trainer, Mannschaft und dem deutschen Fußball Sympathien in der ganzen Welt ein. Spielkunst, Leidenschaft und die Einstellung, um die Spiele auch zu gewinnen, zeichneten die Mannschaft von Helmut Schön aus, sie entsprachen damit seiner Einstellung zum Spiel. Nur Erfolg ohne Freude am Spiel, das war nicht seine Welt. Erfolgreich und schön, diese Symbiose entsprach dem natürlichen Verständnis über das Fußballspiel des feinsinnigen Sachsen am Regiepult des deutschen Fußballs. Auch im Nachhinein befremden die Expertenansichten über die „Entschlusslosigkeit und seinen Wankelmut“ die er bei der Lösung der Frage Gerd Müller oder Uwe Seeler in der Sturmmitte an den Tag gelegt habe und nur deshalb an beiden festgehalten hätte, um keinen von ihnen wehzutun und er deshalb Seeler aus der Spitze in die zweite Reihe zurückzog.[9]

Die Auftritte der Mannschaft in Mexiko, die Leistung von Gerd Müller und Uwe Seeler, beide sprechen eindeutig für die Maßnahmen des Bundestrainers.

Die nächste Bewährung stand schon am 17. Oktober 1970 mit dem Startspiel in der Qualifikation zur Euro 1972 in Köln gegen die Türkei an. Trotz guter Leistung endete das Spiel 1:1-Unentschieden. Jetzt ging es wieder nach Albanien, am 17. Februar 1971 trat die DFB-Elf in Tirana zum zweiten Qualifikationsspiel an. Der Bundestrainer nominierte für das Mittelfeld und den Sturm das Beste vom Besten: Beckenbauer, Netzer und Overath hinter den Stürmern Grabowski, Gerd Müller und Heynckes. Taktische, technische Reife, individuelles und mannschaftliches Können, ausreichende Torgefährlichkeit, Nervenstärke und Selbstvertrauen waren in dieser Zusammensetzung vorhanden. Trotzdem fiel die Revanche für die Europameisterschaftspleite vom 17. Dezember 1967 denkbar knapp aus:

Gerd Müller erzielte in der 38. Spielminute den Treffer des Tages zum 1:0-Sieg. In den Rückspielen gegen die Türkei und Albanien setzte sich die Nationalmannschaft durch und auch in den zwei Begegnungen im Oktober und November 1971 gegen Polen. Noch wesentlicher waren dabei die personellen Zugewinne durch Paul Breitner, Uli Hoeneß, Herbert Wimmer und Erwin Kremers, die Helmut Schön zum Einsatz gebracht hatte, und die durchgehend praktizierte spielerische Linie. Am 29. April 1972 gipfelte das in einem Sensationsspiel im Londoner Wembleystadion gegen England. Mit 3:1 gewann die DFB-Mannschaft, und die Engländer waren damit noch gut bedient. Liest man die Aufstellung aufmerksam durch, kommt man nicht umhin, den „vorsichtigen, ängstlichen Zauderer“ Schön als einen Hasardeur zu bezeichnen: Im Feld hatte er mit Höttges und Schwarzenbeck lediglich zwei Akteure für die reine Defensive nominiert, dazu noch die spielerisch herausragend beschlagenen Beckenbauer und Breitner, die zu jedem Zeitpunkt dem Spiel nach vorne entscheidende Impulse geben konnten. Wo die berühmten und unabdingbaren „Aufräumerqualitäten“ im defensiven Mittelfeld bei den drei Spielern Wimmer, Netzer und Hoeneß schlummerten, das ist auf den ersten Blick auf jeden Fall nicht klar. Dazu die Stürmer Grabowski, Gerd Müller und Held. Dass auch eine eindeutig spielerisch strukturierte Mannschaft die beiden Pole des Fußballspiels, Defensive und Offensive, im richtigen Verhältnis erfolgreich anwenden kann, demonstrierte die Mannschaft von Helmut Schön gegen England auf das eindrucksvollste. Die Handschrift des Mannes aus Sachsen war klar zu sehen, seine Mannschaftsführung der mündigen Spieler setzte Kräfte frei, die sich bei einem autoritären Trainer sich nicht hätten entwickeln können. Im Halbfinale folgte ein 2:1-Erfolg gegen Belgien und im Finale war die Sowjetunion beim 3:0 der deutschen Mannschaft chancenlos. Seit Wembley schwelgte die internationale Fachpresse in Glückwünschen und Superlativen.

Helmut Schöns Mannschaft eröffnete einen neuen Zeitabschnitt im Fußball“, schwärmte die Mailänder Corriere de la Sera nach dem 3:0 Finalsieg des bundesdeutschen Nationalteams über die Sowjetunion. „Wir müssen von den Deutschen lernen. Sie haben Spielzüge, die in keinem Lehrbuch stehen“, gestand der sowjetische Nationaltrainer Ponomarjow nach Spielschluss, während die französische L’Équipe Günter Netzer als „den besten Spieler unseres Erdteils“ bezeichnete.…..

Vor dem Weltmeisterschaftsturnier 1974 in Deutschland veränderte sich aber das Gesicht dieser Mannschaft. Günter Netzer war 1973 nach Spanien zu Real Madrid gewechselt und kam zudem durch eine Verletzung mit Trainingsrückstand zum Vorbereitungslehrgang nach Malente. Herbert Wimmer gehörte nicht mehr der Stammbesetzung an und der Flügelflitzer Erwin Kremers wurde ebenso wenig wie der Routinier Siegfried Held nominiert. In der Gruppenphase vertraute der Bundestrainer auf Cullmann, Overath und Hoeneß im Mittelfeld, spielerischer Glanz wollte nicht aufkommen. Im dritten Spiel kam noch Heinz Flohe als vierter Mann im Spiel gegen die DDR hinzu und Grabowski und Gerd Müller bildeten alleine den Angriff. Die Ostdeutschen gewannen mit 1:0 Toren und im DFB-Lager herrschte Krisenstimmung. In der Sportschule Malente, in der schon in der Vorbereitungsphase ein Streit wegen der Spielerprämien ausgebrochen war, wurde sofort nach der Niederlage Fraktur geredet. Der Bundestrainer warf einigen Spielern vor, nicht so gekämpft zu haben, wie es notwendig war. „Angriff und Mittelfeld haben für zu wenig Unterstützung in der Abwehr gesorgt, wenn es Not tat“, ließ Schön wissen, der Konsequenzen für das kommende Jugoslawien-Spiel ankündigte. Unterstützung fand der Trainer bei seinem Kapitän Franz Beckenbauer, der monierte: „Drei, vier Spieler kämpfen nicht mit dem Einsatz, wie es bei einer Weltmeisterschaft notwendig ist.“ Erst eine Stunde vor dem Spiel gab Helmut Schön seine Mannschaft bekannt. Die Überraschung: Mit Uli Hoeneß, Jürgen Grabowski, Heinz Flohe und Bernd Cullmann fehlten aus dem Team das 0:1 gegen die DDR verloren hatte, vier Spieler. In den Medien wurde aus den Krisendiskussionen dieser Nacht und dem Bild der Pressekonferenz als der Kapitän neben dem Bundestrainer sitzend dessen Ausführungen mit eigenen Worten unterstrich, die Schlagzeilen, „Franz Beckenbauer stieg zum Neben-Bundestrainer auf. Was Helmut Schön nun unternahm, war mit dem kommenden Kaiser abgesprochen.“ [10][11]

Heraus kamen in der Zwischenrunde die Erfolge gegen Jugoslawien, Schweden und Polen und damit der Einzug in das Finale gegen Holland. Jetzt stand die Formation mit Bonhof, Overath und Hoeneß im Mittelfeld und mit Grabowski, Gerd Müller und Bernd Hölzenbein im Angriff. Taktisch entschied man sich dafür, den holländischen Starspieler Johan Cruyff mit enger Manndeckung durch den schnelleren Berti Vogts zu bekämpfen, Georg Schwarzenbeck hatte es damit mehr mit Rob Rensenbrink zu tun und Rainer Bonhof sollte den Spielmacher Wim van Hanegem mit seiner Dynamik in die ungeliebte Defensive drängen. Nach guter erster Halbzeit führte die deutsche Mannschaft mit 2:1 Toren und hatte auch im Spiel nach vorne überzeugende Momente gehabt. Die zweite Spielhälfte stand dagegen ganz im Zeichen eines Sturmlaufs der Holländer und einer deutschen Mannschaft, die kämpferisch alles gab und den Vorsprung über die Zeit rettete. Helmut Schön hatte mit seiner Mannschaft nach dem Europameisterschaftstitel 1972 auch die Weltmeisterschaft 1974 gewonnen. Begonnen hatte die Turnierserie 1966 mit der Vizeweltmeisterschaft und 1970 mit dem dritten Rang in Mexiko. Nur die Art und Weise des Zustandekommens waren nicht mehr spielerisch vergleichbar mit den Auftritten 1970 und 1972. Der Titel 1974 wurde in erster Linie erkämpft, basierend auf einer guten Abwehr und individueller Klasse, aber das spielerische Element blitzte nur in einzelnen Szenen auf, die Mannschaft hatte als Einheit keine übergreifende spielerische Richtschnur mehr. Der Zweck heiligte die Mittel.

Nach dem WM-Triumph beendeten Jürgen Grabowski, Gerd Müller und Wolfgang Overath ihre Nationalmannschaftskarriere und der junge Paul Breitner wechselte zu Real Madrid. Sie hinterließen Lücken, der Verlust des einmaligen Torjägers Gerd Müller wog besonders schwer. Der Bundestrainer hatte aber keine Zeit zu verlieren, am 20. November 1974 stand das erste Qualifikationsspiel zur Europameisterschaft 1976 auf dem Terminsplan. In Piräus endete die Partie gegen Griechenland mit 2:2-Unentschieden und die eingesetzten Stürmer Geye, Hölzenbein und Heynckes trugen sich dabei nicht in die Torschützenliste ein. Auch den 1:0-Siegtreffer im zweiten Qualifikationsspiel am 22. Dezember 1974 in La Valetta gegen Malta erzielte mit Bernd Cullmann ein Mittelfeldspieler. Auf der „Betonpiste“ in La Valetta gingen Pirrung, Kostedde und Hölzenbein im Angriff an den Start. Beim dritten Spiel in Sofia gegen die Bulgaren setzte Helmut Schön am 27. April 1975 auf die Rückkehrer Breitner und Netzer von Real Madrid, aber mehr wie ein verwandelter Foulelfmeter von Ritschel in der 75. Minute zum 1:1-Endstand sprang nicht heraus. Der Funke sprang auch beim Rückspiel am 11. Oktober 1975 in Düsseldorf gegen Griechenland nicht über, trotz Breitner und Netzer im Mittelfeld musste sich die Schön-Elf mit einem 1:1-Unentschieden begnügen. Mit zwei Siegen gegen Bulgarien und Malta beendete die Mannschaft erfolgreich die Qualifikation. Mit Erich Beer und Bernard Dietz hatten sich auch zwei neue Spieler als Stammkräfte etabliert. Im Viertelfinale hatte man es mit Spanien zu tun und holte sich am 24. April 1976 in Madrid ein 1:1-Unentschieden und gewann das Rückspiel in München mit einer guten Leistung mit 2:0 Toren (Hoeneß, Toppmöller). Damit war der Titelverteidiger in das Halbfinale eingezogen, das im Juni 1976 in Jugoslawien stattfand. Nach einem dramatischen 4:2-Erfolg in der Verlängerung gegen den Gastgeber zog Deutschland in das Finale ein. Ohne echten Mittelstürmer hatte der Bundestrainer seine Mannschaft in das Spiel am 17. Juni in Belgrad auf das Feld geschickt. Mit einem Vierermittelfeld mit Bonhof, Wimmer, Danner und Beer und den zwei Angreifern Hoeneß und Hölzenbein begann die Schön-Truppe. Zur zweiten Halbzeit kam der Kölner Heinz Flohe für Danner und in der 79. Minute der Mittelstürmer des 1. FC Köln, Dieter Müller, für Herbert Wimmer in das Spiel. Torjäger Dieter Müller erzielte in seinem Nationalmannschafsdebüt drei Treffer. Das Finale entschied die Tschechoslowakei nach einem 2:2 nach Verlängerung mit 5:3 Toren im Elfmeterschießen. Immer noch gehörte die Mannschaft von Bundestrainer Helmut Schön zu den besten Teams in Europa, von einer Überlegenheit oder gar einer Ausnahmemannschaft konnte aber keine Rede mehr sein. Der oder die Spielmacher fehlten, internationale Flügelstürmer der Klasse Grabowski, Libuda, Held und Erwin Kremers fehlten völlig und auch die Nachfolge von Gerd Müller war noch nicht geklärt. Vielleicht gerade deshalb ist auch der Vizeeuropameistertitel 1976 als erfolgreiche Arbeit des Bundestrainers zu würdigen. Er hatte aus den vorhandenen Möglichkeiten das Beste gemacht.

Das letzte Turnier – der Abschied, 1978

Am 27. April 1977 schlug Deutschland in Köln vor 58.000 begeisterten Zuschauern Nordirland mit 5:0 Toren. Es war das erste Spiel ohne Rekordnationalspieler Franz Beckenbauer, der in die USA zu Cosmos New York gewechselt war. Endlich hatte die Nationalmannschaft mit Rüdiger Abramczik wieder einen Flügelstürmer von Format – auch Karl-Heinz Rummenigge gehörte bereits dazu - und auch die Mittelstürmerrolle schien mit Klaus Fischer bestens besetzt. Es folgten elf weitere Spiele ohne Niederlage, wobei vor allem die erfolgreiche Südamerikareise mit den Spielen gegen Argentinien, Uruguay, Brasilien und Mexiko im Juni 1977 den Anschein erweckt hatte, Helmut Schön hätte wieder eine Mannschaft beisammen, mit der man zuversichtlich zur Weltmeisterschaft im Jahre 1978 nach Argentinien fahren könne. Dann kamen die zwei Abschlussländerspiele vor dem Turnier. Am 5. und 19. April 1978 verlor die DFB-Crew die Länderspiele gegen Brasilien und vor allem in Stockholm nach enttäuschender Leistung gegen Schweden mit 1:3 Toren. Jetzt hefteten die Kritiker den lautstarken Ruf nach Beckenbauer, Breitner, Grabowski und Stielike auf ihre Fahnen, ungeachtet aller administrativen und persönlichen Hindernisgründe, an denen sicherlich der Bundestrainer am allerwenigsten Schuld hatte.

Die vier Spieler nahmen nicht an der Weltmeisterschaft 1978 teil und das Eröffnungsspiel am 1. Juni 1978 in Buenos Aires gegen Polen bestritt der Bundestrainer mit folgender Elf:

Sepp Maier - Berti Vogts, Manfred Kaltz, Rolf Rüssmann, Herbert Zimmermann - Rainer Bonhof, Heinz Flohe, Erich Beer - Rüdiger Abramczik, Klaus Fischer und Hansi Müller.

Das Spiel endete nach einem schwachen Auftritt mit einem 0:0-Unentschieden. Gegen das schwache Mexiko folgte ein „Scheinfeuerwerk“ mit 6:0 Toren, dem sich das abschließende Gruppenspiel gegen Tunesien wiederum mit einem torlosen Unentschieden anschloss. Überzeugend war die deutsche Mannschaft nicht in die Finalrunde eingezogen. Das Spiel gegen Italien brachte das dritte 0:0 für die deutsche Mannschaft, mit 2:2 trennte man sich von Holland und im letzten Finalspiel traf man am 21. Juni 1978 in Córdoba auf Österreich. Mit einem Sieg war auf jeden Fall das Spiel um Platz drei gesichert. Die Unruhe im deutschen WM-Lager über die bisher gezeigten Leistungen führte aber auch in diesem Spiel dazu, dass die Mannschaft erneut nicht zur Leistung fand und Hans Krankl in der 88. Minute mit dem Siegtreffer zum 3:2 für Österreich den Schlusspunkt für die DFB-Mannschaft setzte. Da Helmut Schön bereits vor der Weltmeisterschaft an deren Ende schon seinen Rücktritt von dem Bundestrainerposten erklärt hatte, ging mit diesem schwachen Auftritt in Argentinien die großartige Ära seiner Arbeit beim DFB zu Ende. Offiziell wurde Helmut Schön vor dem Anpfiff zum Länderspiel am 15. November 1978 in Frankfurt gegen Ungarn von der Nationalmannschaft und dem DFB verabschiedet.

In seine Zeit fallen auch die ersten Siege gegen England (1. Juni 1968, 1:0) und Brasilien (16. Juni 1968, 2:1) und zwei der dramatischsten Fußballspiele einer deutschen Nationalmannschaft überhaupt. Einmal das WM-Endspiel 1966 gegen England, wobei seine Mannschaft durch das Wembley-Tor, dem umstrittensten Tor der Fußballgeschichte mit 2:4 Toren nach Verlängerung verlor, und zum Zweiten bei der WM 1970 in Mexiko gegen Italien im Halbfinale bei der 3:4-Niederlage in der Verlängerung, im so genannten Jahrhundertspiel. Mit dem Bundestrainer Helmut Schön bestritt die deutsche Nationalelf vom 4. November 1964 bis 21. Juni 1978 insgesamt 139 Länderspiele (87 Siege, 30 Remis, 22 Niederlagen) und erreichte dabei ein Gesamttorverhältnis von 292:107. Das Team blieb in dieser Zeit 50mal ohne Gegentor.

Späte Jahre

In den 90er Jahren wurde es still um Helmut Schön, der unter der Alzheimer Krankheit litt und seine letzten Lebensjahre im Hans-Giebner-Haus, einem Pflegeheim im Wiesbadener Stadtteil Dotzheim, verbrachte. Er starb im Februar 1996 – der deutsche Fußball ehrte ihn im Rahmen einer Trauerfeier im Wiesbadener Staatstheater. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Nordfriedhof in Wiesbaden.

Grundsätze der Trainer-Philosophie von Schön

Schön stand zwar für die sportliche Entwicklung der DFB-Elf gerade, er forderte aber auch von seinen Spielern, dass sie Verantwortung übernähmen und andere mitrissen. Dafür ließ er sie über ihr spielerisches Tun selbst entscheiden. Einzige Bedingung: Der Mannschaft musste es nutzen.

Zu Schöns Trainingsauffassung gehörte, dass der Ball im Zentrum der Übungen stand. Ferner forderte er für Spielaufbau an oberster Stelle „Ordnung“. Dazu zählte besonders eine klare und eindeutige Aufgabenverteilung, die alle Spieler zu verstehen hatten. Gleiches galt für das gewählte Spielsystem. Das Spiel selbst lebte für Schön von der Besetzung des Mittelfeldes, aus dem spielerische Ideen zu entwickeln waren und das Kreativität verströmen sollte. Doch Schön vergaß auch nicht die Bedeutung des kämpferischen Elements, wenn er forderte, dass der Spieler mit körperlichem Einsatz die Verantwortung für das Ganze übernehmen müsse, auch gegenüber schwächeren Spielern. „Fußball ist, auf seine Weise, ein spielerisches Modell unserer gesellschaftlichen Verhältnisse: so einfach, dass jeder es verstehen kann, so variationsreich, dass – wie im Leben – immer neue Konstellationen entstehen können.“ (Hubert Dahlkamp, Strategen des Spiels)

Auszeichnungen

  • 1980 – Ernennung zum Ehrenmitglied des Deutschen Fußball-Bundes
  • 1984 – FIFA-Orden
  • 1964-1983 – 6mal Betreuer von Kontinent- und Weltauswahlteams
  • 2008 – Posthum Aufnahme in die Hall of Fame des deutschen Sports

Literatur

  • Jürgen Bitter, Die Meistermacher, Verlag wero press, Pfaffenweiler, 2004, Seite 82-84, ISBN 3-937588-02-7
  • Jürgen Bitter, Deutschlands Fußball Nationalspieler, Das Lexikon, Sportverlag Berlin, 1997, Seite 432/433, ISBN 3-328-00749-0
  • Hardy Grüne, Vom Kronprinzen bis zur Bundesliga, Agon-Sportverlag, 1996, ISBN 3-928562-85-1
  • Hardy Grüne/Lorenz Knieriem, Spielerlexikon 1890-1963, Agon-Sportverlag, 2006, Seite 346/347, ISBN 3-89784-148-7
  • Helmut Schön, Fußball, Erinnerungen, Ullstein Verlag, Berlin 1978, ISBN 3-550-07676-2
  • Ludger Schulze, Trainer, die großen Fußballstrategen, Copress-Verlag, 1989, Seite 71-82, ISBN 3-7679-0292-3
  • Dietrich Schulze-Marmeling (Hrsg.), Strategen des Spiels, Verlag Die Werkstatt, 2005, Hubert Dahlkamp, Seite 158-168, ISBN 3-89533-475-8
  • Raphael Keppel: Deutschlands Fußball-Länderspiele 1908-1989. Sport- und Spielverlag Edgar Hitzel, Hürth 1989, ISBN 3-9802172-4-8
  • DFB (Hrsg.), 100 Jahre DFB, Sportverlag Berlin, 1999, Hans-Josef Justen, Die Bundestrainer des DFB, Seite 221-225, ISBN 3-328-00850-0
  • Der Sport-Brockhaus, Mannheim, 1989, Seite 445, ISBN 3-7653-0392-5
  • 11, IFFHS-Journal, Sonderausgabe über den deutschen Fußball, N. A, Seite 100/101

Weblinks

Anmerkungen

  1. Jürgen Bitter, Deutschlands Fußball Nationalspieler, Das Lexikon, Seite 432
  2. Hubert Dahlkamp, in Strategen des Spiels, Seite 164
  3. Helmut Schön, Fußball, Seite 47: "Ich war zwar erst fünf oder sechs, als ich mit dem Straßenfußball begann"
  4. Helmut Schön, Fußball, Seite 53: "Das Fußballspielen vollzog sich bei mir in einem stufenweisen Aufstieg. Von der Straße wechselte ich mit sieben, acht Jahren hinüber in die nahen Grünanlagen der 'Bürgerwiese', einem Park auf dem Gelände eines vor 500 Jahren ausgetrockneten Sees"
  5. Helmut Schön, Fußball, Seite 66/67: "Beim DSC war ich in die Finger eines berühmten Trainers geraten: des Engländers Jimmy Hogan - gewelltes Haar, Scheitel, Rollkragenpullover. Das Ungewöhnliche an Jimmy Hogan war: Er hatte zwar lange Jahre in der Ersten Division der englischen Liga gespielt. Aber als Trainer lehrte er mehr die schottische Schule. Englischer Fußball war damals auf klassische Weise körperlich, kämpferisch, gradlinig. Der schottische Stil dagegen betonte mehr das technische Spiel, das Zusammenwirken der Einzelnen in Kombinationen, natürlich mit einem gehörigen Schuß Athletik. Hogan hat den DSC erst zur wirklichen Klasse geformt. Auch ich habe viel von ihm gelernt: Das fing beim stilreinen Spannstoß an. Wir sollten "undurchsichtig" spielen. Schön und gut spielen - das war Jimmy Hogans Devise."
  6. Jürgen Bitter, Deutschlands Fußball Nationalspieler, Das Lexikon, Seite 433: "...In der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands wurde der Dresdner SC als 'Symbol feudaler Cliquenwirtschaft' verboten, und deshalb bildeten sich zunächst Bezirks-Sportgemeinschaften"
  7. Hardy Grüne, Enzyklopädie des deutschen Ligafußballs, Bundesliga & Co, Agon, 1997, Seite 55, „Eine der besten bundesdeutschen Nationalmannschaften aller Zeiten verzauberte ihre Fans bei der Weltmeisterschaft in Mexiko, die mit dem legendären 3:4 nach Verlängerung gegen Italien ein tragisches Ende für die Schön-Elf fand.
  8. Ludger Schulze, Die Mannschaft, Copress-Verlag, 1986, Seite 132)
  9. Hardy Grüne, Enzyklopädie des deutschen Ligafußballs, Bundesliga & Co, Agon, 1997, Seite 54, „Der Seeler soll zu Hause bleiben, der passt nicht zum Müller“, hatten seine Kritiker gemotzt und wollten den Hamburger um seine vierte WM bringen. Doch Bundestrainer Helmut Schön war stur geblieben und Seeler hatte sich mit einer ausgezeichneten WM bedankt. Als eine Art Wasserträger für seinen Nachfolger auf der Mittelstürmerposition, Gerd Müller, hatte er großen Anteil an Müllers Torjägerkanone und dem Finaleinzug.
  10. Ludger Schulze, Die Mannschaft 1986, S. 139/140: In der Nacht von Malente wurde die Vergangenheit begraben und die Erinnerung an die Europameisterelf gelöscht. Beckenbauer hatte alle Brücken hinter sich und den Seinen abgerissen, die bundesdeutsche Nationalmannschaft befand sich in der Stunde Null. Der Münchner, der mit Faust auf den Tisch gehauen hatte wie kein Kapitän vor oder nach ihm, hatte sich zum gleichrangigen Partner des Bundestrainers aufgeschwungen, und der, was wiederum für Schön sprach, akzeptierte dies in der Not
  11. Schulze-Marmeling/Dahlkamp, Die Geschichte der Fußball Weltmeisterschaft, 2004, S. 233: In der Sportschule Kaiserau waren nach der DDR-Pleite viele, auch böse Worte gefallen, so dass gegen die Jugoslawen ein DFB-Team auflief, das bis in die Haarspitzen motiviert war. Das Spiel wurde zum Wendepunkt für die bundesdeutsche Elf. Helmut Schön: „Die deutsche Mannschaft hat beherzigt, was man ihr wohl mit Recht vorgeworfen hat. Sie hat heute diesen Sieg mit Kampf aus dem Feuer gerissen und verdient gewonnen.“ Das in Zürich erscheinende Fußballmagazin Sport ging einen Schritt weiter: „Düsseldorf erlebte die Geburt einer neuen deutschen Mannschaft. Wer weiß, vielleicht war es die Geburt des Weltmeisters.“

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