Ist doch ein geiler Verein
Club zwischen Schlappi und Clapton
Proletarische Wurzeln, raubeinige Fans, ein Präsident, der den Einstieg von Dietmar Hopp verhinderte - die Geschichte von Waldhof Mannheim ist eine von mehreren aus dem Buch "Ist doch ein geiler Verein". Dafür erhält SPIEGEL-ONLINE-Redakteur Christoph Ruf heute den Preis "Fußballbuch des Jahres".
Eine alte Tafel hängt an einer der Längsseiten, sie kündet von der Vereinsgründung im Jahre 1907, massenhaft Mannschaftsfotos finden sich hier. Auf den meisten ist der Chef noch als Spieler zu sehen. Im Kopfballduell mit Dieter Hoeneß, beim Torjubel mit Roland Dickgießer oder Karl-Heinz Bührer. 146 Erstligaspiele hat Tsionanis für Waldhof Mannheim bestritten und dabei sechs Tore erzielt. Max Merkel lobte ihn einmal: "Der köpft sogar eine Kiste Cola aus dem Strafraum." Für vier Euro kann man bei Dimi essen, griechisch oder badisch. Schinkennudeln, Kohlrouladen oder Souflaki. Mittags waren ein paar Tische besetzt, jetzt unterhält sich nur noch ein Pärchen auf der leicht erhöhten Empore. Am Tresen schaut ein Rentner auf sein Pils. Dimi steht am Grill, es ist nicht auszumachen, ob er seinen Gedanken nachhängt oder einfach nur dem Gitarrensolo lauscht. Vier Menschen und Eric Clapton.
Von froher Hoffnung und zähem Willen
Im Stadtteil Waldhof findet man die größte zusammenhängende Arbeitersiedlung Deutschlands. Sie steht unter Denkmalschutz. Wenn Guido Westerwelle oder Olaf Henkel in Mannheim etwas zu sagen hätten, würden sie wahrscheinlich zuerst die Straßennamen ändern. Denn die heißen seit weit über hundert Jahren "Neues Leben", "Zäher Wille", "Kleiner Anfang" oder "Frohe Hoffnung". An Spieltagen hängen manche eine schwarz-blaue Fahne raus – als ginge es noch gegen Kaiserslautern oder Stuttgart. Und nicht gegen Bamberg oder Pfullendorf.
So proletarisch wie der Mannheimer Norden, in dem der Verein seine Wiege hat, so proletarisch seien mehrheitlich auch seine Fans, sagt Robert Schmidt, den sein Vater vor 25 Jahren zum ersten Mal ins Stadion mitnahm. Einem 2:0-Erfolg über Werder Bremen in Waldhofs erster Bundesligasaison überhaupt. Heute arbeitet Schmidt als Fanbeauftragter beim Waldhof. In einer Reportage aus den 1980ern werde das Umfeld des Clubs treffend beschrieben: "Leute, die mit rot geränderten Augen aus der Kneipe fallen. Leute, die nicht wissen, wie sie nächsten Monat die Miete aufbringen sollen." Waldhof, das sei noch echter Fußball, sagt er: "Die Leute aus der Reportage gehen zu uns. Woanders kommen die, die sich gerade den zehnten Armani-Anzug gekauft haben." Er, der studierte Jurist, kommt natürlich auch: "Ich habe offenbar ein Herz für Außenseiter: Ich komme aus dem Jugendstrafrecht, ich wähle SPD und habe einen Problemhund aus dem Tierheim. Und einen Problemverein als Lieblingsclub."
Etwas rauer als andernorts war die Atmosphäre beim Waldhof schon immer. Nicht nur, was den Umgangston angeht. In den 1990er Jahren war Mannheim eine Hochburg der Fußballgewalt. Mit Gesinnungsgenossen aus Magdeburg, Braunschweig und Basel bildete man eine internationale Allianz – mit den Schweizern versteht man sich noch heute gut. Doch im Gegensatz zu früher geht es heute bei Heimspielen deutlich kreativer zu.
AKADEMIE FÜR FUSSBALLKULTUR Die Deutsche Akademie für Fußballkultur kürt am Freitagabend in Nürnberg den "Fußballspruch des Jahres 2008". Die Gewinner der Kulturpreise stehen hingegen schon fest. In der Kategorie "Bestes Buch" setzte sich SPIEGEL- ONLINE- Redakteur Christoph Ruf mit "Ist doch ein geiler Verein. Reisen in die Fußballprovinz" (Werkstatt Verlag) durch. "Spiel des Jahres" wurde "WeyKick" von Ralph Kuhl (Verlag Ulrich Weyel). In der Kategorie "Lernanstoß - der Fußball- Bildungspreis" siegte das Schulprojekt "Schlappeschneider - Schlappekicker" aus Frankfurt am Main. Den Walther- Bensemann- Sonderpreis für Völkerverständigung und interkulturellen Dialog erhält Bernd Trautmann, der als Kriegsgefangener nach England kam und später bei Manchester City spielte.
Schmidt ist stolz auf die aufwendige Choreographie bei der 100-Jahr-Feier des Vereins, stolz auf die Ultraszene, die rund um den Verein entstanden ist. Auf ihre Treue und ihre Kreativität. Und darauf, dass es in Mannheim immer mehr Teenager gibt, die das Team vor Ort unterstützen. Und nicht Bayern oder gar den FCK. Der Stadtrivale VfR übt auf Mannheims Jugendliche traditionell die Anziehungskraft einer Lateinstunde aus, er ist der Verein der Kaufleute, zu seinen Spielen kamen selbst in der Regionalliga im Schnitt nur etwa 400 Zuschauer. Manch Mächtiger in der Kurpfalz bewertet das allerdings auch schon anders.
Die Idee, den VfR und den Waldhof zu fusionieren, hätte jedenfalls keiner ernsthaft in Erwägung gezogen, der sich auf den Stehplätzen des Carl-Benz-Stadions oder des direkt daneben liegenden Rhein-Neckar-Stadions nur einmal ein paar Minuten umgehört hat. Waldhof-Präsident Wilfried Gaul und Manager Dieter Dollmann hatten sich da jedoch offenbar noch nie aufgehalten, planten sie doch zusammen mit ihren Pendants vom VfR die Zusammenlegung der beiden Clubs. Das war 2003, das Jahr, in dem der Waldhof aus der Zweiten Liga abstieg.
Mit vereinten Kräften, so die Argumentation der Fusionsbefürworter, könne ein Gesamt-Mannheimer Verein schnell wieder aufsteigen. Mit der Vehemenz des Widerstandes hatten sie jedoch nicht gerechnet. Die Rebellion der Fans, die von der neu gegründeten Initiative "Pro Waldhof" gebündelt wurde, fand schnell ihre Devise: "Lieber mit dem SV Waldhof in die Oberliga, als mit dem SV Mannheim in der Bundesliga" hieß es in der Fanszene. Und überhaupt: Seit wann wackelt der Schwanz mit dem Hund?
Nachdem die Mitglieder beim Waldhof mit großer Mehrheit die Fusion abgelehnt hatten, stimmte auch die VfR-Mitgliedschaft dagegen. Die Fusion scheiterte, "Pro Waldhof" blieb. Es ist wie überall: Je tiefer ein Verein gesunken ist, desto stärker bringen sich Fans ein. So wie Robert Schmidt, der als Fanbeauftragter und rechte Hand der Geschäftsführung arbeitet. Auch der Platzwart, der Sicherheitsleiter und der Spielbereichsleiter kommen aus der Fanszene. Und selbstredend Vereinspräsident Mario Nöll, ein studierter Jurist und gelernter Ultra. Anfang 2007 sicherten die Fans dem Verein gar die Existenz. Die 10.000 Euro Erlös aus einem Fanturnier ermöglichten es dem klammen Verein immerhin, den Dezember zu überbrücken und so kurzfristig die Gefahr der faktischen Zahlungsunfähigkeit zu umgehen. Seit Sommer spielt der Waldhof nun in der dreigleisigen Regionalliga - ein Aufstieg, den sie so euphorisch feierten, als habe sich soeben das Tor zur Champions League aufgetan.
10.000 Euro, die über das Wohl und Wehe eines Vereins entscheiden –das klingt nach Kreisklasse C. Doch der Waldhof spielte vor 15 Jahren noch in der Bundesliga. Mit seinem urwüchsigen, politisch nicht ganz zurechnungsfähigen Coach Klaus Schlappner mit NPD-Sympathien setzte er einen Farbtupfer in der Liga. Die Mannheimer wirkten als Newcomer sympathisch, weil sie es ohne viel Geld und mit dementsprechend biederen sportlichen Mitteln schafften, immerhin sieben Jahre am Stück die Klasse zu halten. Und weil parallel immer wieder Spieler ausgebildet wurden, die dann anderswo endgültig zur großen Karriere ansetzten: Jürgen Kohler, Uwe Rahn, Fritz Walter, Maurizio Gaudino, Christian Wörns, Hanno Balitsch. Auch die Zweitligajahre 1990 bis 2003 hinterließen noch die ein oder andere Kerbe im kollektiven Gedächtnis der Fans. Erst in den Monaten vor dem Abstieg verloren die Leute endgültig die Lust an einem Club, der sich einfach standhaft weigerte, ihnen auch mal ein kleines bisschen Freude zu bereiten.
Nun spielte der Waldhof viertklassig. Auf den Dörfern. Beziehungsweise eine Liga unter den Dörfern. Hoffenheim, das damals noch längst keine solch hochtrabenden Pläne wie derzeit verfolgte, hatte plötzlich am Spielfeldrand die Kameras, die jahrelang im Carl-Benz-Stadion gestanden hatten. Nun war der Moment gekommen, an dem sich viele Menschen in der Rhein-Neckar-Region erstmals fragten, warum Dietmar Hopp eigentlich niemals beim Waldhof eingestiegen war. Hier hätte er eine bundesligataugliche Infrastruktur und das entsprechende Fanpotenzial vorgefunden. Beides musste er in seinem Heimatdorf erst mühsam aufbauen. Manch einer munkelte, "Vadder Hopp" habe sich wohl mit den Waldhof-Granden überworfen.
So ähnlich war es. Alfred Schön, der Mann, der 1983 für den Waldhof das erste Bundesligator der Vereinsgeschichte erzielte, arbeitete als Nachwuchstrainer für Hoffenheim, als seine Mannschaft beim Waldhof-Nachwuchs antreten musste. Das Spiel geriet schnell zur Nebensache, denn auf der Tribüne ward Dietmar Hopp gesichtet. Und siehe da, der zeigte sich angetan von dem Vorschlag, den Waldhof wieder nach oben zu bringen. Auch seine Bedingung für einen Einstieg war alles andere als unverschämt: Einen Vertrauten wolle er in den Vorstand entsenden – eine Forderung, die selbst eingefleischteste Basisdemokraten eigentlich nicht maßlos finden können.
Anders sah das jedoch Wilfried Gaul, der damalige Präsident, der sich jede Einflussnahme strikt verbat und Hopp und dessen Millionen somit vor die Tür setzte. Einige Tage später erschien in der FAZ eine Anzeige: "Nordbadischer Traditionsverein sucht Werbepartner." Auf die Anzeige meldete sich niemand. Im Carl-Benz-Stadion wird anno 2006 Bundesligafußball gespielt: Hopps TSG Hoffenheim trägt dort ihre Heimspiele aus.
Quelle: www.spiegel.de
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