Die ewige Grätsche

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Die ewige Grätsche



Der SV Waldhof Mannheim ist wahrlich kein Club für die Spaßgesellschaft. Von einer soliden Bundesligagröße zum Oberligisten abgerutscht, verlangt der Traditionsverein mit dem Proleten-Image seinen Fans eine gehörige Portion Masochismus ab.

Ein Sommertag, eine Horde Kinder stürmt über den Rasen auf ein paar Männer zu. Die tragen blau-schwarze Hemden und schwitzen stark, heißen Uwe Freiler, Richard Naawu oder Manfred Schnalke. Spieler, die kein Mensch kennt, Spieler des SV Waldhof Mannheim. Und doch klopft uns Kindern das Herz, als wir um die nassen Kerle wimmeln, ihre Autogramme sammeln. Echte Profi-Fußballer.

Es ist 1991, und an meinem Heidelberger Gymnasium sind "Projekttage". Wo sich andere Sechstklässler für "Ich häkle mir ein Federmäppchen" oder "Tiere im Wald" entscheiden, wähle ich das Projekt "Waldhof Mannheim". Der betreuende Lehrer verspricht Trainingsbesuch und Stadionführung. Feine Sache. Aber besonders aufregend ist, dass sich nach dem Training ein paar frisch geduschte Spieler Zeit für uns nehmen. Ich erinnere mich, wie ich dem heutigen 96-Coach Dieter Hecking gegenüber sitze, damals ist er Mitte 20. Er lässt seine Badelatschen an den Zehen baumeln und ich stammele meine Frage: Wie er denn einst zum SV Waldhof kam? Seine Antwort freilich erreichte mich gar nicht mehr, aufgeregt wie ich war.

Heute stelle ich mir die Frage selbst: Wie bist du eigentlich zum SVW gekommen? Die Antwort: Ich hatte es nach den Projekttagen wohl einfach beschlossen. Damals war meine junge Fanseele noch nicht gefestigt. Obwohl ich mich schon längst als VfB-Fan fühlte (wegen Klinsi, zugegeben), lag immer noch ein Bayern-Shirt in meiner Kommode. Mutti zwang mich zum Auftragen, hatte schließlich 20 Mark gekostet.

Waldhof ist kein Knuddel-Club

Ich gestehe, das Vorhaben, fortan Waldhof-Fan zu sein, sollte mir nie so ganz gelingen. Wahrscheinlich, weil mein Masochismus zu klein war. Wer Waldhof-Fan wird, entscheidet sich fürs Einstecken. Wer Waldhof-Fan ist, hofft, dass es am nächsten Wochenende nicht zu schlimm kommt. Der Waldhof ist kein Knuddel-Club wie Freiburg oder Mainz, den man mal so nebenbei lieb hat, Spaßgesellschaft sucht man in Mannheim vergeblich. Die jüngere Vereinsgeschichte ist eine des Scheiterns, wie ich gleich bei meinem ersten Stadionbesuch erfahren sollte.

Am 28. Spieltag der Saison 1991/1992 ging es um den Aufstieg, der Gegner hieß Chemnitz. 15.000 Zuschauer im morschen Stadion am Alsenweg, ein grauer Frühlingstag. Mein Bruder hatte meinen besten Kumpel und mich in seinem Fiat Uno mitgenommen. Auf den Rängen waren rotäugige Alkoholiker und Rentner. Wir kletterten den Zaun hoch, um besser sehen zu können. Die Partie endete 1:1, Waldhof verpasste mit Tabellenführer Saarbrücken gleichzuziehen. Viel schlimmer: Der Erzfeind aus dem Saarland schickte uns eine Woche später glatt 4:0 nach Hause. Zwar gewann der SVW das nächste Heimspiel 6:2 gegen den SC Freiburg. Doch nach einem Unentschieden gegen Homburger Langweiler war der Aufstieg endgültig verspielt.

In der folgenden Saison schien sich das Glück zu wenden, es herrschte auf einmal so etwas wie Euphorie um den Club. Der Waldhof, ja konnte es denn möglich sein, war plötzlich "in". Wenigstens in Heidelberg. Sonst eher Spaßbremsen, spielten die Mannheimer damals schönen Fußball, vielleicht den bis heute schönsten der Vereinsgeschichte. Der wasserstoffblonde Uwe Weidemann fütterte unsere Stürmer mit Traumpässen, ein Günter Netzer der zweiten Liga. Half aber alles nichts. Ein 0:0 gegen Aufstiegskonkurrent VfB Leipzig - meine qualvollste Erinnerung an den Alsenweg - riss uns erneut aus den Aufstiegsträumen. Chinaböller im Block, durchgehende Polizeigäule, großzügiger Fausteinsatz. Hooligans gehören traditionell zum Umfeld des Arbeiterclubs.

Wie in Mannheim der Vorstopper erfunden wurde

Als Duisburg nach der Saison Weidemann wegkaufte, war die Waldhöfer Spielkultur futsch. Für ihn holte man den dänischen Nationalspieler Henrik Larsen. Der Transfer machte mich mächtig stolz, Larsen war immerhin einer der wackeren Dänen, die Deutschland 1992 im EM-Endspiel besiegt hatten. Larsen kam vom Provinzclub Pisa. Egal, Hauptsache Italien. Wie sich aber schnell herausstellte, brachte der Larsen-Kauf keinen Glamour, sondern läutete vielmehr eine Epoche planlosen Plünderns internationaler Spielermärkte ein. Der Restposten wohlgemerkt.

Doch im Sommer 2001 war Waldhof überraschend noch einmal ganz nah dran am Bundesliga-Aufstieg. Am letzten Spieltag führte Waldhof zu Hause gegen Mainz 4:0 und stand zehn Minuten vor Abpfiff ganz oben. Doch Konkurrent St. Pauli gewann in den letzten Minuten sein Auswärtsspiel in Nürnberg. Zugegeben: Damals wusste ich gar nicht so recht, zu wem ich halten sollte. Gerade war ich nach Hamburg gezogen. Wenn ich Sonntagnachmittags mein Fenster öffnete, hörte ich die Gesänge vom Millerntor. Andererseits pissten uns die St.-Pauli-Fans nach dem Spiel in den Hauseingang. Also doch lieber Waldhof.

Heute kickt der SVW in der Oberliga Baden-Württemberg, die Gegner heißen Linx, Sonnenhof Großaspach oder Schwieberdingen. Der letzte halbwegs bekannte Name, der sich bis vor kurzem im Waldhof-Kader finden ließ, war Michael Anicic, früher Eintracht Frankfurt und mindestens mal ein Jahrhunderttalent. Einziger Trost: Lokalrivale VfR Mannheim, Deutscher Meister 1949, geht es noch ein bisschen schlechter.

Beim SV Waldhof soll es zunächst einmal der Aufstieg in die neue dritte Liga sein. Aber natürlich denkt man insgeheim schon wieder an den übernächsten Schritt, sprich: Liga zwo. Schließlich ist dort gerade der unverschämte Emporkömmling aus der Nachbarschaft angekommen - Hoffenheim. Ein Verein mit dickem Festgeldkonto, aber dünnem Charisma. Der hieß vor kurzem noch "TSG" und firmiert jetzt als "1899". Als ob vier Ziffern im Vereinsnamen fehlende Tradition ersetzen könnten.

Fußball-Patina hat Waldhof reichlich. Sepp Herberger, geboren in Waldhof, spielte von 1919 bis 1921 für die Schwarz-Blauen, der Erfinder des Vorstoppers ist ebenfalls ein Mannheimer. Pepitahut-Träger Klaus Schlappner ließ Talente wie Karl-Heinz Förster oder Jürgen Kohler abgrätschen, was denen in die Quere kam. Die "Mannheimer Schule" steht seitdem für kompromisslose Eisenfüßler. Christian Wörns von Borussia Dortmund ist auch so einer oder Hanno Balitsch (Hannover 96). Der rustikale Spielstil machte den SV Waldhof sieben Jahre lang zu einem soliden Bundesligisten, Platz 26 in der ewigen Tabelle, vor den Erzrivalen Kickers Offenbach und 1. FC Saarbrücken.

Der SV Waldhof Mannheim. Klar, eine graue Maus - aber wenigstens eine respektierte.

Erschienen auf SPIEGEL ONLINE am 30.07.2007



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