Schlacht von Göteborg
Als Schlacht von Göteborg (in Deutschland auch Skandal- oder Hassspiel von Göteborg) wird die Halbfinalbegegnung der deutschen Fußballnationalmannschaft gegen den Gastgeber Schweden bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1958 bezeichnet. Das Spiel, das mit einem 3:1 für Schweden endete, fand am 24. Juni 1958 vor 49.471 Zuschauern im Göteborger Nya-Ullevi-Stadion statt. Aufgrund der, durch den ungarischen Schiedsrichter tolerierten, brutalen Spielweise der Gastgeber ging die Partie als eines der größten Skandalspiele in die Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaften ein.
Inhaltsverzeichnis
Vorgeschichte
Vier Jahre nach dem WM-Sieg in Bern reisten viele deutsche Anhänger, auch bedingt durch die verbesserte soziale und wirtschaftliche Lage in Zeiten des Wirtschaftswunders, nach Schweden, um ihre Mannschaft anfeuern zu können. Einige dieser, damals noch „Schlachtenbummler“[1] genannten Fans, fielen jedoch abseits der Stadien sehr schnell negativ auf, sodass sich bald die schwedischen Medien über die betrunkenen, lautstarken und arroganten Fans konzentrierten. Nicht selten fielen hierbei militärische Metaphern wie „Kriegsfußballer“, „Knochenbrecher“ oder „Panzer“. Auch die deutschen Medien schürten vor dem Spiel den Unmut gegen die schwedische Mannschaft, vor allem die in Italien tätigen Spieler wurden von der Presse mit dem damals noch negativ belasteten Begriff „Legionär“ umschrieben. Heute ein gebräuchlicher Begriff für einen Auslandsprofi, war die Bezeichnung zur damaligen Zeit noch ein Synonym für Käuflichkeit und charakterlichen Verfall. In Deutschland hatte zuvor der geplante Wechsel Uwe Seelers nach Italien, der daraufhin vom Theologen Helmut Thielicke als „schwere Sünde“ bezeichnet worden war, für Aufsehen gesorgt.[2].
Angeregt durch die überraschenden Erfolge der eigenen Mannschaft, die durch ein Unentschieden gegen Wales durch Siege über Mexiko, Ungarn sowie die Sowjetunion das Halbfinale erreicht hatte, sorgten die schwedischen Fans, zudem angefeuert durch bezahlte Einpeitscher, schon mehrere Stunden vor dem Spiel durch Hassgesänge und deutschlandfeindliche Parolen für eine angeheizte Stimmung. Das Spiel war kurzfristig von Stockholm ins Ullevi-Stadion verlegt worden, sodass die deutsche Mannschaft im letzten Moment ein neues Quartier beziehen musste. Zudem wurden nach eigenen Angaben zusätzlich vielen deutschen Anhängern der Eintritt verweigert, sodass letztendlich lediglich 1.000 deutsche Besucher im Stadion anwesend waren.[3]
Zu einer kontroversen Diskussion beim amtierenden Weltmeister, der nach Unentschieden gegen die Tschechoslowakei und Nordirland sowie Siegen über Argentinien und Jugoslawien ins Halbfinale eingezogen war, sorgte zudem die Schiedsrichtereinteilung für das Spiel seitens der FIFA. Als Haupttunparteiischer der Partie sollte der Ungar István Zsolt die Partie leiten. Da die Deutschen ganz Fußball-Ungarn durch den Finalsieg in Bern in eine tiefe Krise gestürzt hatten und zudem die Nationalmannschaft bei der WM in Schweden ohne den wegen Republikflucht ausgeladenen Star Ferenc Puskás bereits in der Vorrunde ausgeschieden war, sah der DFB in der Einsetzung des nach eigener Ansicht linientreuen Kommunisten zusätzliche Brisanz. [4]
Das Spiel
Mannschaftsaufstellungen
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Tor | ||
1 Karl Svensson (Helsingborgs IF) | 1 Fritz Herkenrath (Rot-Weiss Essen) | |
Abwehr | ||
2 Orvar Bergmark (Örebro SK) 3 Sven Axbom (IFK Norrköping |
7 Georg Stollenwerk (1. FC Köln) 3 Erich Juskowiak (Fortuna Düsseldorf) | |
Mittelfeld | ||
15 Reino Börjesson (Norrby IF) 14 Bengt Gustavsson (Atalanta Bergamo) 6 Sigvard Parling (Djurgårdens IF) |
4 Horst Eckel (1. FC Kaiserslautern) 2 Herbert Erhardt (SpVgg Fürth) 6 Horst Szymaniak (Wuppertaler SV) | |
Sturm | ||
7 Kurt Hamrin (Calcio Padova) 8 Gunnar Gren (Örgryte IS) 9 Agne Simonsson (Örgryte IS) 4 Nils Liedholm (AC Mailand) 11 Lennart Skoglund (Inter Mailand) |
8 Helmut Rahn (Rot-Weiss Essen) 9 Fritz Walter (1. FC Kaiserslautern) 12 Uwe Seeler (Hamburger SV) 11 Hans Schäfer (1. FC Köln) 14 Hans Cieslarczyk (SV Sodingen) | |
Trainer | ||
George Raynor | Sepp Herberger |
Spielkleidung
Die Schwedische Nationalmannschaft trat in gelben Trikots mit der schwedischen Staatsflagge auf der Brust, dukelblauen Hosen und dunkelblauen Stutzen an, während der Torhüter Karl Svensson komplett in blau spielte. Die deutsche Mannschaft trug weiße Trikots mit dem DFB-Adler auf der Brust, dazu schwarze Hosen und schwarze Stutzen. Torhüter Fritz Herkenrath war, ebenso wie das Schiedsrichtergespann, schwarz gekleidet.[5]
Spielverlauf
Zwar eröffneten die Schweden das Spiel mit deutlichem Offensivbemühen in Richtung deutsches Tor, in dieser Angriffsphase fiel jedoch in der 23. Spielminute das überraschende 1:0 für die DFB-Elf durch Hans Schäfer. Die deutsche Mannschaft beherrschte nun zunehmend das Spiel, nach einem klaren aber ungeahndeten Handspiel von Nils Liedholm kamen die Schweden jedoch nur zehn Minuten später durch Lennart Skoglund zum Ausgleich. In der Folgezeit fielen die Gastgeber durch eine zunehmend härtere Spielweise auf, die jedoch vom ungarischen Schiedsrichter nicht unterbunden wurde. In der 58. Minute kam es nach einem Zweikampf zu einem Gerangel zwischen dem deutschen Verteidiger Erich Juskowiak und dem schwedischen Angreifer Kurt Hamrin, nach einem Tritt des Stürmers revanchierte sich Juskowiak ebenfalls mit einem Tritt. Daraufhin wurde der deutsche Verteidiger von Zsolt des Feldes verwiesen, Hamrin hingegen blieb unbestraft. 15 Minuten später traf Außenläufer Parling Fritz Walter so schwer am Knöchel, dass dieser verletzt behandelt werden musste. Da Auswechslungen im Fußball erst seit 1965 erlaubt sind, kehrte Walter zwar noch einmal humpelnd auf das Spielfeld zurück, konnte jedoch de facto nicht mehr am Spielgeschehen teilnehmen. Gegen die neun verbliebenen Deutschen gelang es den Schweden Gren und Hamrin in den Schlussminuten auf 3:1 zu erhöhen, was das Ausscheiden der Mannschaft von Trainer Herberger und für die Schweden die erste Finalteilnahme in der Fußball-WM-Geschichte des Landes bedeutete.[6]
Paarung | Vorlage:Sweden Schweden – Vorlage:Germany Bundesrepublik Deutschland |
Ergebnis | 3:1 (1:1) |
Datum | 24. Juni 1958, 19:00 Uhr |
Stadion | Nya Ullevi, Göteborg 49.471 Zuschauer |
Schiedsrichter | István Zsolt (Ungarn) |
Tore | 0:1 Schäfer (23.) 1:1 Skoglund (33.) 2:1 Gren (81.) 3:1 Hamrin (88.) |
Platzverweise | Juskowiak (59.) |
Übertragung
Obwohl die ARD neun der insgesamt 35 Spiele live im Fernsehen zeigte, konnte die Übertragung aller deutschen WM-Partien nicht gewährleistet werden, da die Live-Spiele von der FIFA bestimmt wurden. Dies führte dazu, dass die Sendeanstalt nur das zweite Halbfinalspiel zwischen Brasilien und Frankreich übertragen konnte. Zwar besaßen bereits 2,13 Millionen Haushalte in Deutschland zum Jahresende ein Fernsehgerät, Einschaltquoten wurden zu dieser Zeit allerdings noch nicht gemessen.[7]
Das Spiel zwischen Deutschland und Schweden wurde ausschließlich im Radioprogramm der ARD übertragen. Die Partie wurde in der ersten Halbzeit von Rudi Michel, in der zweiten Halbzeit von Herbert Zimmermann kommentiert.
Bewertung
In der deutschen Öffentlichkeit sowie beim Deutschen Fußball Bund wurde aufgrund der Schiedsrichterleistung sowie der brutalen Spielweise des Gegners sehr schnell von einem „Skandalspiel“ gesprochen, selbst neutrale Beobachter und Journalisten wie Horst Vetten konstatierten, dass „König Fußballs einfältigste Vasallen ein blamables Heckengefecht [kämpften]“.[8] Die Beteiligten bemühten sich hingegen um Zurückhaltung, so gratulierte Bundestrainer Herberger dem Gegner zum sportlichen Erfolg („Die schwedische Mannschaft ist eine erstklassige Elf und und hat verdient gewonnen“[9]), Spieler wie Helmut Rahn beschrieben die Atmosphäre als nicht beeinflussend („Ich dachte nur an das Spiel, da konnte schreien und pfeifen, wer wollte.“[10]).
Dr. Peco Bauwens, aufgrund vorrausgegangener Vergleiche mit dem Dritten Reich als DFB-Präsident umstritten, sprach hingegen von „Volksverhetzung“ und beteuerte „Nie mehr werden wir dieses Land betreten, nie mehr werden wir gegen Schweden spielen!“.[11] Die schwedische Boulevardpresse antwortete mit ähnlich chauvinistischen Aussagen. Bauwens lehnte daraufhin die Einladung des Weltverbandes Fifa zum Endspiel Brasilien-Schweden ab und ließ die deutsche Mannschaft nach Hause fliegen.
Auswirkungen
Schon während des Spiels kam es im und um das Stadion zu Handgreiflichkeiten zwischen schwedischen und deutschen Fußballanhängern, die schließlich sowohl in Deutschland auch als in Schweden zu einem Hass gegenüber Staatsangehöriger der anderen Nation ausarteten. Urlauber wurden in beiden Ländern in der Öffentlichkeit angepöbelt, der Kleinkrieg nahm schnell obskure Auswirkungen an, so fanden sich beispielsweise vor deutschen Lokalen und Bars Schilder mit der Aufschrift „Schweden unerwünscht“, des Weiteren wurde die beliebte „Schwedenplatte“ von vielen deutschen Speisekarten gestrichen.[12] Das sportliche Verhältnis zwischen den beiden Ländern blieb in den nächsten Jahren angespannt, erst die deutschen Siege in der Qualifikation zur WM 1966 in England, für die sich schließlich nur das DFB-Team qualifizieren konnte, sowie das 4:2 der Deutschen gegen Schweden in der zweite Finalrunde der Weltmeisterschaft 1974 beruhigten die Situation, da viele Deutsche Göteborg als „gerächt“ ansahen.
Vor dem WM-Achtelfinalspiel 2006, in dem es erneut zum Aufeinandertreffen zwischen Deutschland und Schweden bei einem WM-Turnier kam, versuchten schwedische Medien den „Hass von Göteborg“ vor der Partie wieder aufleben zu lassen, größere Auswirkungen blieben jedoch aus. [13]
Für die Schweden bedeutete der Sieg gegen Deutschland die erste Finalteilnahme seit Bestehen der Fußball-Weltmeisterschaft, dort unterlag das Team jedoch den überragend spielenden Brasilianern um Weltstar Pelé mit 2:5. Die deutsche Mannschaft trat im Spiel um den dritten Platz, auch bedingt durch die im Halbfinalspiel zugezogenen Verletzungen, mit einer auf sieben Positionen veränderten Mannschaft an und verlor gegen Frankreich mit 3:6. Der Kapitän Fritz Walter erholte sich zudem nie mehr von seiner Knöchelverletzung aus dem Halbfinale, sodass das Spiel gegen Schweden zugleich sein letztes im Trikot der deutschen Nationalmannschaft war.
Nach dem WM-Halbfinale pfiff Schiedsrichter István Zsolt sieben Jahre lang kein Länderspiel mehr.
Einzelnachweise
- ↑ Neue OZ online, 1958: Der Hass von Göteborg und die bösen Folgen
- ↑ Der Spiegel 49/1966, Helmut Thielicke
- ↑ faz.net, Angstgegener Schweden: Regenschlacht und Hexenkessel
- ↑ Süddeutsche online, Ein Tag in der Hölle von Göteborg
- ↑ Youtube, Super8-Farbfilm: Sweden vs. West Germany, FIFA World Cup 1958
- ↑ wissen.de, Fußball WM 1958: Perfektion am Ball
- ↑ Media Perspektiven 9/2006, Die Fußball-WM als Fernsehevent
- ↑ Neue OZ online, 1958: Der Hass von Göteborg und die bösen Folgen
- ↑ Istvan Zsolt – Der Mann der einen Krieg auslöste
- ↑ Süddeutsche online, Ein Tag in der Hölle von Göteborg
- ↑ Meller Kreisblatt online, [http://www.meller-kreisblatt.de/information/reportage/14074373.html „Wir spielen nie mehr in Schweden“
- ↑ rz-online, [http://rhein-zeitung.de/sport/wm98/history/1958.html Fußball-WM-Historie: 1958]
- ↑ Süddeutsche online, Ein Tag in der Hölle von Göteborg
Quellen
- Das Spiel auf fussballdaten.de
- Die große ARD WM-Chronik, CD-Rom für Windows, United Soft Media Verlag, 1998, ISBN 3-8032-9211-5
- Esser, August H.: Die Fussball-Weltmeisterschaft 1958 in Schweden, limpert, 1958
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